Fachbeiträge

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Die Bedarfsplanung als Schlüssel zur Digitalisierung in der Baubranche

Das Baugewerbe boomt seit Jahren, doch ein großes Problem begleitet die Branche weiterhin: Die Produktivitätssteigerung liegt im Vergleich zur positiven Entwicklung der Gesamtwirtschaft Deutschlands deutlich dahinter. Durch die Digitalisierung besteht die Chance, neue Methoden und Prozesse einzuführen, die diesen Rückstand verringern können.

Realität | BIM-Modell

Realität | BIM-Modell

Abbildung 1: Leitlinie Planungsaufwand (Quelle: Prof. Ulrich Elwert)

Abbildung 1: Leitlinie Planungsaufwand (Quelle: Prof. Ulrich Elwert)

Das Baugewerbe boomt seit Jahren, doch ein großes Problem begleitet die Branche weiterhin: Die Produktivitätssteigerung liegt im Vergleich zur positiven Entwicklung der Gesamtwirtschaft Deutschlands deutlich dahinter.[1] Durch die Digitalisierung besteht die Chance, neue Methoden und Prozesse einzuführen, die diesen Rückstand verringern können. Ausgangspunkt ist dabei eine Veränderung der Art und Weise, wie Gebäude geplant und gebaut werden, um Kostentreiber im Planungs- und Bauprozess zu reduzieren. Welche Rolle dabei eine häufig unzureichende Definition der Planungs- und Bauaufgabe spielt, wird oftmals unterschätzt. Den Schlüssel zum digitalen Erfolg bildet dabei die Bedarfsplanung nach der DIN 18205.

  

Problematik einer sukzessiven Planung

„Das klären wir, wenn es soweit ist.“ – keine seltene Aussage, wenn es um die Planung und den Bau eines Gebäudes geht. Bei dieser sukzessiven Vorgehensweise wird zuerst der Entwurf des Gebäudes geplant, wobei die räumliche Gestaltung sowie die funktionale Ausrichtung im Fokus stehen. Technische Entscheidungen, wie z.B. die konstruktive Umsetzung als Holzbau oder Stahlbetonskelettbau werden dagegen erst im vertieften Planungsprozess getroffen. Zudem wird das Bauvorhaben deutlich stringenter als in anderen Branchen in die Projektphasen der Planung und Ausführung aufgeteilt, was meistens auch eine getrennte Beauftragung einzelner Leistungen mit sich bringt. Bei Großprojekten ergeben sich dadurch bis zu 50 verschiedene Auftragnehmer, welche in dieser Konstellation meist einmalig zusammenwirken. Komplexe Schnittstellen sowie der damit verbundene hohe Koordinationsaufwand sind die Folge. Zudem entstehen durch den Wechsel der handelnden Personen große Informationsverluste, wie beispielsweise bei der Übergabe von Medienträgern oder einer mangelnden Informationsweitergabe der eingebundenen Personen.

 

Digitalisierung als Chance zur Produktivitätssteigerung

Um den genannten Problemen entgegenzuwirken, gibt es keine Alternative zur Digitalisierung. So hat sich die Planungsmethodik „Building Modeling Information“ (BIM) für die Digitalisierung der Gebäudeplanung etabliert, die auf einen ganzheitlichen Ansatz zurückgreift: In einem integrierten 3D-Modell werden alle relevanten Gebäudedaten digital modelliert und erfasst, um Prozesse und Informationen zu zentralisieren. Im weiteren Verlauf können alle Akteure im Projekt gemeinsam am gleichen Gebäudemodell arbeiten. Dadurch wird sichergestellt, dass alle über den gleichen Wissensstand verfügen und auf sämtliche relevante Daten in Echtzeit zugreifen können. Infolgedessen werden die Informationsverluste deutlich geringer, was zu einer Kostensenkung und Steigerung der Produktivität führt. Zudem kann mithilfe des 3D-Modells der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks vollumfänglich abgebildet werden. Durch die Methodik von BIM wird es ermöglicht, ein Bauwerk bereits in der Planungsphase unterschiedlichen Simulationen durchlaufen zu lassen, um Aspekte, wie z.B. die Tageslichtausnutzung bis ins Detail eruieren und ggf. optimieren zu können.

 

Der Planungsaufwand verschiebt sich

Die Herausforderung bei der Umsetzung einer digitalen Planung im 3D-Modell stellt neben den technischen und organisatorischen Voraussetzungen auch die frühzeitige Definition des Bedarfes dar. Die wesentlichen Entscheidungen können nicht mehr sukzessive getroffen, sondern müssen früh im Projekt festgelegt werden, da jede Alternative einen differenzierten Modellierungsansatz verlangt. So enthält das Gebäudemodell beispielsweise von Beginn an Raumhöhen und Volumeninformationen, die früher in einer Handzeichnung zunächst nicht notwendig waren. Diese Verlagerung wird durch Abbildung 1 verdeutlicht, welche die unterschiedlichen Datenmengen in den Planungsphasen aufzeigt. So verfügt die traditionelle Planung (schwarze Kurve) kurz vor der Bauausführung über die meiste Informationsdichte, wohingegen bei einer Vorgehensweise nach BIM die Datenmenge bereits deutlich früher festgelegt sein muss (rote Kurve). Um hier strukturiert vorgehen zu können, setzt dort die qualifizierte Bedarfsplanung (blaue Kurve) an, welche eine Informationsverdichtung im Projektablauf nochmals nach vorne schiebt. Die im Jahre 1996 erstmals erschienene DIN 18205 „Bedarfsplanung im Bauwesen“ regelt das dazu notwendige Vorgehen, hat jedoch bisher leider nur unzureichend Anwendung gefunden.

 

Bedarfsplanung – der rote Faden für den Projekterfolg

Wie durch Abbildung 1 deutlich wird, ist die Bedarfsplanung Voraussetzung der eigentlichen Planungsarbeit, welche durch die Digitalisierung eine gesteigerte Notwendigkeit erfährt. Unmittelbar vor Projektbeginn wird zusammen mit dem Bauherrn der Projektkontext analysiert, Projektziele werden definiert, quantitative und qualitative Rahmenbedingungen werden erfasst sowie Varianten und die Entwicklung der Gesamtwirtschaftlichkeit betrachtet. So werden alle relevanten Informationen direkt zu Beginn abgegriffen, welche in das digitale Gebäudemodell einfließen. Hierbei bildet die DIN 18205 ein geeignetes Werkzeug, um den ersten Prozessschritt strukturiert erarbeiten zu können. Durch die klare Definition des Bedarfs können die Vorgehensweise, der Prozess und der Ablauf des Bauprojektes zielorientiert gestaltet werden. So wird ein zügiger Projektverlauf ohne Planungsschleifen gewährleistet, wodurch zu einem späteren Projektzeitpunkt kostenintensivere Anpassungen im 3D-Modell bzw. auf der Baustelle vermieden werden können.

 

Definieren, Planen, Bauen - Richtig investieren

Trotz des vergleichbar hohen Initialaufwandes ist es in Zeiten der Digitalisierung unabdinglich, die Bedarfsplanung noch vor der Grundlagenermittlung als ersten Schritt des Planungsprozesses durchzuführen. In dieser Phase 0 können bereits Bedürfnisse des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und darüber hinaus sogar die künftigen Bedürfnisse des Facility Managements antizipiert werden, um in der Planung Berücksichtigung zu finden. Dagegen amortisiert sich der Aufwand zur Ermittlung im Projektablauf, da eine stringente Bearbeitung ermöglicht wird. Durch die Bedarfsplanung nach DIN 18205 können die Anforderungen an das Bauwerk als Basis für eine digitalisierte Projektabwicklung methodisch dargestellt werden. Erst durch diese klare Definition können Planung und Realisierung des Bauvorhabens zielgereichtet vorgenommen werden.

 

 

[1] Vgl. McKinsey Global Institute: Reinventing Construction: A route to higher productivity, 2017, S. 26